Sich nicht trauen etwas zu sagen

Eine Comic-Figur, die eine junge darstellt, hält sich die Hände vor den Mund

Du sitzt mit deinen Kolleg:innen in einem Meeting. Die Moderatorin stellt eine Frage. Du kennst die Antwort, doch aus irgendeinem Grund sagst du nichts. Der Kollege rechts neben dir antwortet ausschweifend in einem 5-Minuten-Monolog und du weißt genau: Du hättest es genauso gut und viel besser auf den Punkt sagen können. Jetzt fragst du dich, warum du stumm geblieben bist und ärgerst dich über dich selbst.

Vielleicht erkennst du das Dilemma, das in der Situation steckt: Ein Teil von dir möchte etwas sagen, sich an der Diskussion beteiligen und einen Beitrag leisten. Doch da gibt es noch einen anderen Teil, der sich lieber verstecken und unsichtbar bleiben möchte und bloß nicht in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit geraten will. Zunächst einmal: Es ist ganz normal, dass wir uns hin- und hergerissen fühlen von unseren inneren Stimmen. Schon Goethe hat gesagt, „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!“

Womöglich gibt es einen inneren Anteil in dir, der gerne erfolgreich wäre, der gerne sichtbar sein möchte, vielleicht Träume hat von mehr Geld, einem besseren Job – oder der einach nur Anerkennung möchte. Und das ist völlig in Ordnung! Es ist ein menschliches Grundbedürfnis, gesehen und anerkannt zu werden. Wir können diesem Anteil mal einen Namen geben, zum Beispiel „die Ambitionierte.“

Und dann gibt es einen anderen inneren Anteil, der sich schützend vor die Ambitionierte wirft, sobald sie darüber nachdenkt, sich zu Wort zu melden. Nennen wir sie „die Beschützerin.“

Sie hat sich irgendwann – vielleicht als Kind – in dir entwickelt, weil du die Erfahrung gemacht hast: Wenn ich sage, was ich denke, wird mit mir geschimpft, ich werde beschämt oder ausgegrenzt.

Innere Anteile werden in verschiedenen Coaching- und Therapie-Ansätzen genutzt und dementsprechend mit unterschiedlichen Begriffen beschrieben. Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun nennt sie das „innere Team.“ Außerdem gibt es den Begriff „Ego States“, der nichts anderes beschreibt als verschiedene Ego-Zustände – man spricht auch von Innenpersonen, inneren Rollen, Ich-Anteilen, Persönlichkeitsanteilen etc.

Innere Anteile lassen sich sogar in bildgebenden Verfahren sichtbar machen – als neuronale Netzwerke, die im Gehirn feuern, wenn sie aktiv sind. Sie sind also nicht nur ein Konzept, es gibt sie wirklich!

Das Tröstliche ist: Alle Anteile sind einmal entstanden, um dich zu schützen. Auch wenn du heute denkst, ein Anteil „stört“ dich oder würde dir schaden – früher hatte er mal eine wichtige Funktion.

Was kannst du nun also mit deiner Beschützerin tun? Da alle inneren Anteile grundsätzlich da sind, um dich zu unterstützen, kannst du sie erst einmal wertschätzen und sie bitten, auf deinem inneren Sofa Platz zu nehmen.

Dann kannst du mit der inneren Beschützerin in Kontakt treten und Fragen stellen:

  • Wie geht es dir?
  • Warum bist du da? Was ist deine Aufgabe?
  • Was wünschst du dir?

Es ist gut möglich, dass es nicht gleich beim ersten Mal klappt, Kontakt aufzunehmen. Versuche es einfach noch ein paar Mal, wenn du in einer entspannten Stimmung bist und schau, was sich zeigt.

In vielen Fällen wünschen sich innere Anteile gesehen und wertgeschätzt zu werden. Wenn das bei deiner Beschützerin der Fall ist, kannst du dir beispielsweise vorstellen, dass du sie in den Arm nimmst.

Es ist gut möglich, dass deine Beschützerin dir Erinnerungen aus der Vergangenheit bringt, die erklären, warum sie in Erscheinung tritt. Dann kannst du ihr erklären, dass die Welt heute anders ist. Dass du heute kein Kind mehr bist und unabhängig von der Bewertung anderer. Dass deine Kolleg:innen dich nicht beschämen. Wenn du deine innere Beschützerin auf diese Weise versorgen konntest und sie sich etwas beruhigt hat, ist es gut möglich, dass es dir in der nächsten Situation, in der du etwas sagen möchtest, viel leichter fällt. Vielleicht hilft es dir auch, dir in dem Moment einen Satz zu sagen, wie zum Beispiel „Heute ist es anders.“ Das bringt dich ins Hier und Jetzt zurück und deine Vergangenheit beeinflusst dich weniger.

Wie du siehst, ist das Ganze eine enorm heilsame Arbeit, die dir mehr Bewusstheit, Selbstwirksamkeit und Wertschätzung für dich selbst schenkt.

Probier es gerne mal aus! Mach es dir dazu gemütlich und sorge dafür, dass du ungestört bist. Schreib gerne in die Kommentare, wie es sich angefühlt hat. Wenn du Fragen hast, schick mir gerne eine Email.

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